Berlin hat die Köpfe – aber nicht die Kohle. Innovationen in Berlins Kreativindustrie

Der Branchen-Cluster IKT, Medien, Kreativwirtschaft ist ein bedeutender und höchst potentialträchtiger Teil der Berliner Wirtschaft. Dabei umfasst der Cluster eine sehr große Bandbreite an Teilbranchen, die auf den ersten Blick nur mittelbar in Zusammenhang stehen. Bei genauerer Betrachtung erschließt sich aber ihre hochgradige Interdependenz – insbesondere vermittelt über den allumfassenden und wertschöpfungsrelevanten Trend zur Digitalisierung. Was wäre z.B. der Musikmarkt ohne mp3, der Buchmarkt ohne ebooks, Rundfunk und Presse ohne Internet, die Filmwirtschaft ohne youtube usw.? Auch ist die Kreativindustrie ein wichtiger Impulsgeber für die IKT-Branche und diese wiederum Auftrag- und Arbeitgeber sowie möglicher Kooperationspartner für die Kreativindustrie.

„Wir in Berlin sind überall dabei, aber wir kommen zu nichts.“ (Tucholsky)

Bis zu 240.000 Menschen arbeiten in diesem Cluster, der noch stärker als die gesamtdeutsche und Berliner Wirtschaft ohnehin schon von Kleinen und mittleren Betrieben geprägt ist. Es sind gerade die kleinen und Kleinstunternehmen, die die Branche ausmachen, die Freiberufler[ref]Der Anteil an Selbständigen liegt in der Kultur- und Kreativwirtschaft bei rund einem Viertel der Beschäftigten und damit weit über dem Durchschnitt aller Branchen (10%), unter den künstlerischen Berufen sogar bei bis zu 50%. BBSR, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung: Kultur- und Kreativwirtschaft in Stadt und Region. Bonn 2011Enquete-Kommission: Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“. 2007[/ref], und Selbständigen, die Kreativen, die Innovationsimpulse für ganze Wertschöpfungsketten geben – aber nicht selten zusehen müssen, wo sie bleiben.

Denn Prekariat und erfolgreiches Unternehmertum liegen dicht beieinander in der sogenannten Kreativindustrie und den verwandten Branchen IKT und Medien. Dabei sind gerade diese „Projektemacher“ der „digitalen Boheme“ Vorreiter des vielbeschworenen Übergangs zur Wissensökonomie. Hier hat es seine Wurzeln, das Projekt – eine Organisationsform, die mittlerweile auch die Arbeitsweise in Großorganisationen dominiert, da sie offenbar besonders geeignet ist, Innovationen und kundenindividuelle Problemlösungen zu generieren.

„Innovationen sind nicht marktgetrieben, sie treiben den Markt.“ (Josef Brauner)

Innovation! Dieser Schumpetersche Imperativ wird in der Wissensökonomie, die Querdenker und Kreative braucht, geradezu auf die Spitze getrieben. In der Kreativindustrie ist Innovation Programm, ist in ihr verankert und damit etwas anders gelagert als in den herkömmlichen Branchen der materiellen Produktion: Creative works sind nämlich per definitionem neu.[ref]Vgl. Handke, Christian W.: Defining creative industries by comparing the creation of novelty. Workshop: „Creative Industries – A measure for urban development?“ Wien, 20.03.2004[/ref] Bei vielen IT-Startups z.B. ist bereits die angebotene Dienstleistung bzw. das zugrundeliegende Geschäftsmodell die Innovation selbst[ref]Vgl. Stähler, Patrick: Geschäftsmodelle in der digitalen Ökonomie; Merkmale, Strategien und Auswirkungen. Lohmar 2002Hafkesbrink, Joachim; Schroll, Markus: Business Model Innovation in the Digital and new Media Economy. TII Conference „Innovation 3.0 – Challenges, Needs and Skills of the new Innovation Era“, Düsseldorf, 28.-30. April 2010[/ref]:

Beispiele für solche innovativen und ganz unterschiedlich erfolgreichen Startups sind das (gescheiterte) Unternehmen aka aki, das (erfolgreiche) discounto[ref] Die Dienstleistung von discounto z.B. besteht in der strukturierten Präsentation von regionalen Marktdaten via Internet für den Kunden (Preisvergleich von Discountern). Das Geschäftsmodell enthält für Kunden den Nutzen, online kostenlos Produktpreise vergleichen zu können bzw. für die Geschäftspartner, ihre Produkte online bewerben zu können. Erträge werden über Werbeeinnahmen generiert.[/ref], (das aufstrebende) suxeedo oder (der Überflieger) Hitfox.

Gemein ist ihnen das ständige Bedürfnis nach Kreativität bzw. kreativen Köpfen, wie z.B. Software-Entwicklern. Denn die Produktlebenszyklen sind kurz und Leistungen werden schnell von Konkurrenten imitiert. Hieraus entsteht ein Druck, sich ständig an technische Neuentwicklungen und Veränderungen des Marktes anzupassen, also erneute – oft inkrementelle – Innovationen hervorzubringen.

Gemein ist ihnen aber auch, dass sie nicht isoliert betrachtet werden können, da diese Unternehmen allein auf weiter Flur nicht existierten, geschweige denn erfolgreich wären. Die Branche ist von vielfältigen Abhängigkeiten durchzogen: Nicht nur sind viele kleine abhängig von den ganz großen – die SEO-Branche von Google bspw. –, sondern auch die kleinen brauchen die anderen kleinen in ihrer räumlichen Nähe. Denn Produkte und Dienstleistungen stehen im Zusammenhang von Wertschöpfungsketten und Innovationen befruchten und beflügeln sich gegenseitig. So greift auch der klassische Innovationsbegriff zu kurz, da er die kooperative Produktion von Innovationen in netzwerkförmigen Zusammenhängen unterbelichtet. [ref] Man muss jedoch eingestehen, dass die Innovations- und Netzwerkforschung hier in den letzten Jahren nicht untätig war und mittlerweile auch diese Aspekte stärker einbezieht.[/ref]

„Originality is the core of the value chain.“[ref] Weihui, Dai; Xuan, Zhou; Yue, Yu: The Innovation Communities and Their Ecological mechanism in Creative Industry. Proceedings of the PICMET, Cape Town, South Africa, 2008:383[/ref]

Ein anderes Beispiel für Innovation in der Kreativindustrie liefern die Kommunikations- bzw. Werbeagenturen: Hier besteht Innovation aus der originellen Gestaltung von Werbung und Marketing. So muss jede Werbebotschaft in Inhalt und/oder Form unterscheidbar von bereits dagewesenen sein, um als kreativ wahrgenommen zu werden. Dabei ist jede Auftragsbearbeitung maßgeblich an die Kreativität von Textern, Grafikern, Mediengestaltern, Dialogmarketern, etc. geknüpft.

Die essentielle Ressource für Innovationen in dieser Branche bilden demnach kreative Talente, so dass das Innovationspotential weit stärker als in anderen Branchen an die Mitarbeiter gebunden ist. [ref]BBSR, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung: Kultur- und Kreativwirtschaft in Stadt und Region. Bonn 2011;

Miles, Ian; Green, Lawrence: Hidden Innovation in the creative industries. 2008:44, Weihui/ Xuan/ Yue 2008:385)[/ref]

Infolgedessen sind Abwerbeversuche nicht ungewöhnlich[ref](Miles/ Green 2008:44)[/ref] und die Unternehmer sind froh, wenn ihre Assets, die jeden Abend nach Hause gehen, am nächsten Morgen wiederkommen.

„Also, das Kapital steckt in den Köpfen der Mitarbeiter, ist damit prinzipiell sehr flüchtig und gleichzeitig die wichtigste, zu schützende Ressource.“ (Dr. Peter Hecker, GEOkomm Networks)

 „Berlin ist eine Stadt für helle Köpfe und offene Sinne.“ (Sir Simon Rattle)

Die Köpfe sind vorhanden. Berlin bietet gut ausgebildete Fachkräfte und genau das Potential an kreativen Menschen mit Ideen, das für Innovationen so wichtig ist. Nicht ohne Grund, denn bei der Ortswahl stehen für hochqualifizierte Arbeitskräfte Freizeitangebot, Lebensqualität und attraktive Wohnbedingungen immer mehr im Vordergrund. So wird von den Unternehmern als wichtiger Standortvorteil die Möglichkeit genannt, mit Personen der gleichen oder naher Branchen in Kontakt zu kommen. Dabei werden sie zusätzlich durch institutionalisierte Netzwerke unterstützt, wie bspw. durch das media.net Berlin Brandenburg mit einer Vielzahl an Initiativen oder das GEOkomm Netzwerk der Geoinformationswirtschaft – beide mit Hilfe staatlicher Gelder ins Leben gerufen. Networking ist essentieller Bestandteil des Geschäfts und die Branche lebt von den persönlichen Netzwerken ihrer Menschen. Die hierin begründeten Potentiale reichen vom reinen Austausch über Kooperationen bis hin zur Anbahnung von Aufträgen oder Angestelltenverhältnissen.

„Berlin ist arm, aber sexy.“  (Klaus Wowereit) 

Fragt man die hier ansässigen Unternehmer der Kultur- und Kreativwirtschaft nach den Standortvorteilen Berlins, so nennen sie an erster Stelle die Vielfalt und Dichte des kulturellen Angebots, das internationale Image und die touristische Attraktivität. Anders ausgedrückt: Berlin ist ein Ort, an den viele Menschen gerne kommen und während ihres Aufenthalts natürlich auch Geld ausgeben. Berlin bietet Publikum. Berlin bietet Kundschaft.

Doch die Kaufkraft von Touristen allein reicht natürlich nicht, um Startups groß zu machen, die sich ja zudem auch mit ihren Produkten und Dienstleistungen nicht nur an Menschen oder Unternehmen richten, die gerade hier vor Ort sind.

Startups brauchen i.d.R. vielmehr eine Anfangsfinanzierung, um das Geschäft aufzubauen und ggf. nach einiger Zeit nochmal einen größeren Investor, der dabei hilft, das zarte Pflänzchen groß zu ziehen. Als Geldgeber infrage kommen hierbei die öffentliche Hand, Banken sowie größere Unternehmen, d.h. Geber von Venture Capital.

„Sie wollen einen Kredit? Zeigen Sie uns, dass Sie ihn nicht benötigen, und Sie bekommen ihn.“ (Henry Ford)

Die Investitionsbereitschaft von Banken schneidet beim Ranking der Standortfaktoren für die Kreativindustrie allerdings nicht sonderlich gut ab. Doch woran liegt das?

Ein möglicher Grund für die zurückhaltende Kreditvergabe von Banken in (Teilen) der Kreativindustrie liegt in der grundsätzlich geringen Eigenkapitalausstattung der Gründer bzw. Unternehmen. Ein anderer Risikofaktor liegt in den oft schwer einzuschätzenden Geschäftsmodellen, die hauptsächlich auf Ideen und immateriellen Vermögensgegenständen basieren und weniger auf materiellen Produktionsmitteln. Obschon auch die Banken das Potential der Branche erkannt haben, scheint es also noch immer schwierig, von ihnen Investitionsmittel zu erhalten.

Bleiben also der Staat und Venture-Kapitalgeber…

„Die Wirtschaft lebt viel stärker von Innovationen als der Staat; sie wird dem Staat wohl immer einen Schritt voraus sein.“ (Wolfgang Schäuble)

Erstaunlicherweise wird aber auch das Angebot an öffentlicher Förderung[ref]Siehe auch: IHK Berlin: Berliner iKT-Wirtschaft – Potenziale einer Zukunftsbranche[/ref] nicht sehr gut bewertet. Dabei bietet die öffentliche Hand eine doch recht breite Palette an Förderangeboten: Das BMWi bspw. fördert über das zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) Einzelprojekte, Kooperationen und Netzwerke, das BMBF setzt mit seinen Spitzencluster-Wettbewerben ebenfalls auf Netzwerke. Das Land Berlin fördert über die Investitionsbank Berlin Innovationsvorhaben, die Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie als Public Private Partnership vermitteln und begleiten auf dem Weg zur Förderung und auch in Brandenburg stellt die Zukunftsagentur Brandenburg (ZAB) Fördermittel zur Verfügung.

Förderlandschaft und vermittelnde Infrastruktur sind also vorhanden. Warum also die schlechte Bewertung? Ist es eine unzureichende Wahrnehmung des Angebotes oder hapert es bei der Umsetzung? Aufgrund der Kleinteiligkeit und Komplexität der Branche ist es zumindest nicht leicht, Förderangebote zu kreieren, die den höchst individuellen Bedarfen aller Akteure gerecht werden.

„The biggest risk is not taking any risk…” (Mark Zuckerberg)

Verschiedentlich wird auch ins Feld geführt, die deutsche Startup-Szene – darunter die Berliner Kreativindustrie – brauche mehr große Investoren. Dabei ist Finanzierung nicht gleich Finanzierung. Denn Experten zufolge ist es gar nicht so schwer, in Berlin bspw. eine Business Angel Finanzierung für den Geschäftsstart zu bekommen. Viel schwieriger aber scheint es, in einer späteren Unternehmensphase die notwendige große Geldspritze von einem „later stage VC“ zu bekommen, um richtig groß durchzustarten. Die überlegen sich natürlich auch genau, wo sie ihr Geld anlegen. Was sollte sie davon abhalten? Hierzu gibt es vielfältige Vermutungen:

Haben die Deutschen bzw. die Berliner wirklich zu wenig Mut bzw. zu viel Angst vor dem Scheitern, zu wenig Mission oder Ambition, was wirklich Großes aufzuziehen? Ist es die fehlende große Erfolgsgeschichte mit Vorbildcharakter, der deutsche Mark Zuckerberg sozusagen? Braucht es mehr technische Gründer oder Co-Founder? Mangelt es an ausreichend wirklich signifikanten  bzw. komplett neuen Geschäftsmodellen in Berlin oder existiert gar ein grundsätzlicher deutscher Nachholbedarf im Erschließen von Online-Märkten? Setzen die Berliner schlicht zu sehr auf Investoren aus dem eigenen Land oder gestalten ihre Unternehmen nicht attraktiv genug für ausländische Käufer?

Oder sind es vielmehr die Investoren selbst, die das Potential Berlins mit all seinen kreativen Unternehmern, seinen Netzwerken, dem freundlichen politischen Klima und der überragenden Forschungslandschaft noch nicht ausreichend erkannt haben? Sollte es so sein, … man könnte es ihnen verstärkt unter die Nase reiben.

„Berlin muss der Motor Deutschlands werden.“ (Gregor Gysi)

Denn klar scheint eines: Berlin hat großes Potential, bietet ein insgesamt gutes Innovationsklima und bleibt weiterhin eine der beliebtesten Städte der Welt. Darauf ausruhen kann sich jedoch niemand, weder die Unternehmer, noch die Politiker, noch potentielle Förderer und Investoren. Damit diese Stadt und ihre Kreativen auf dem Weg zur wirtschaftlich erfolgreichen Innovationsmetropole weiter voranschreiten kann, ist noch viel zu tun. Der eingeschlagene Weg erscheint jedoch vielversprechend.

 

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